Kinderbetreuung, Home Office, flexible Arbeitszeiten, Yogakurse – viel wird unternommen, um dem gestiegenen Bedürfnis nach Work-Life Balance zu begegnen. Wie genau die perfekte Balance aussieht, ist jedoch individuell sehr unterschiedlich. Nur wer die für sich selbst richtigen Stellschrauben kennt, ist in der Lage, persönliche und berufliche Interessen langfristig miteinander in Einklang zu bringen. Hier steht, wie das geht.
So sieht’s aus
Glücklicherweise verstehen inzwischen viele große und kleine Firmen unter Work-Life Balance dann doch etwas mehr als kostenlosen Kaffee, eine schöne Dachterrasse und den morgendlichen Brötchenservice. Sie berücksichtigen Geschlecht, Familienumstände, Alter und Lebenssituation ihrer Mitarbeiter und entwickeln maßgeschneiderte Angebote von flexiblen Arbeitszeiten bis hin zur Rückenschule. Nichtsdestotrotz findet laut einer aktuellen Gartnerstudie lediglich jeder dritte deutsche Berufstätige seine Work-Life Balance in Ordnung. Nicht zuletzt Corona, Digitalisierung und Globalisierung führten zu einer zunehmenden Entgrenzung von Arbeitszeit und -ort. Privatleben und Arbeit verschmelzen immer mehr – ein Phänomen, das man als „Work-Life Blending“ bezeichnet. Das macht die Sache immer komplizierter, denn was für den einen mehr individuelle Freiheit bedeutet, hat für den anderen schnell Burn-out Potenzial.
Es gibt kein Patentrezept für Work-Life Balance
Mancher arbeitet Woche für Woche 60 Stunden oder mehr und wird dabei durchaus zufrieden und glücklich alt. Unter ungünstigen Bedingungen kann aber auch schon ein Nebenjob zur ernsthaften Bedrohung für Familie und Gesundheit werden, denn die Arbeitszeit ist nur ein Faktor von vielen. Jeder Mensch geht anders mit Belastung um und jeder Mensch hat sein eigenes, individuelles Arbeitsumfeld. Das Patentrezept für eine ausgewogene Work-Life Balance gibt es leider nicht. Das richtige Konzept für die Ausgewogenheit von Beruf und Privatleben ist so individuell wie jeder Mitarbeiter. Die gute Nachricht: Mit wenig Aufwand lässt sich herausfinden, an welchen Schrauben man drehen sollte.
Energiespender und Energiefresser
In meinen Coachings verwende ich ein einfaches Quadranten-Modell, in dem private und berufliche Tätigkeiten positioniert werden. Das von meiner kanadischen Kollegin Lauren Bacon entwickelte Modell nennt sich „Balance Matrix“. Die eine Achse („Antrieb“) beschäftigt sich mit den Auslösern für eine Tätigkeit: Eigene oder die Prioritäten anderer. Die zweite Achse („Energie“) unterscheidet zwischen Aktivitäten, die Energie geben und denen, die Energie aufsaugen. Indem man nun die Aktivitäten eines Tages oder einer Woche in dieser Matrix positioniert, wird schnell klar, wo Ungleichgewichte auftreten. So sieht das Ganze aus:
Beginnen wir mit dem Quadranten unten links – den „verschleißenden“ Tätigkeiten. Hier steht all das, was keinen Spaß macht und was wir nur tun, weil es andere von uns verlangen. Klassische Vertreter wären z.B. der Besuch schlechter Meetings oder auch das vierte Mal Aufstehen in einer einzigen Nacht, um das Baby zu füttern. Je mehr Zeit und Energie Sie an diesen Quadranten verschwenden, desto mehr gerät Ihre Balance ins Wanken.
Unten rechts finden Sie die Tätigkeiten, die Sie zwar ermüden, die Sie aber dennoch im eigenen Interesse erledigen. „Notwendige“ Aufgaben eben, wie das Aufräumen der Inbox, ein Besuch beim Zahnarzt, die Steuererklärung oder der tägliche Abwasch. Schnelligkeit ist alles, denn um diese Aufgaben kommen Sie nicht herum. Manchmal lässt sich eine dieser ungeliebten Tätigkeiten durch eine Änderung der Rahmenbedingungen nach oben rechts promoten, z.B. wenn Sie sich der Inbox das nächste Mal in Ihrem Lieblingscafé bei einem guten Cappuccino widmen.
Die „lohnenden“ Aktivitäten finden Sie oben links, sie machen Spaß, obwohl sie nicht auf Ihrem eigenen Mist gewachsen sind. Der von Ihrem Partner initiierte Konzertbesuch könnte in diese Kategorie fallen. Auch wenn es Spaß macht, sollten Sie darauf achten, dass Ihre eigenen Prioritäten nicht zu kurz kommen.
Schließlich sind wir an dem Punkt, an dem Sie ausschließlich Ihren eigenen Neigungen und Leidenschaften folgen: Den „wertvollen“ Aktivitäten oben rechts. Kreativ sein, Zeit mit Freunden verbringen, über das Meer segeln – alles, was Ihnen Energie gibt und gute Laune macht, finden Sie hier. In diesem Viertel ist vor allem dann wenig los, wenn Ihr Leben aus der Balance geraten ist.
Perspektivenwechsel
Wenn es Ihnen geht wie den meisten von uns, dann wird der Quadrant oben rechts vermutlich nicht besonders überlaufen sein. Ab und zu ein gutes Abendessen, am Wochenende ein paar Stunden im Werkkeller oder auf dem Fahrrad und hier und da ein gutes Buch und ein Besuch bei Freunden. Wir neigen dazu, diese Aktivitäten als Belohnung für all die notwendigen, verschleißenden und auch lohnenden Tätigkeiten zu sehen.
Versuchen wir einen Perspektivenwechsel: Könnte es sein, dass genau in diesem Quadranten all das liegt, was Ihnen wirklich am Herzen liegt? Das, was eigentlich Ihren Alltag bestimmen sollte? Das, was Sie ausmacht und in dem Sie gut sind? OK, wahrscheinlich können Sie nicht einfach Ihren Job kündigen oder Ihre Kinder auf die Straße setzen, aber vielleicht tragen ja schon ein paar kleinere Anpassungen zu Ihrer inneren Balance bei.
Los geht‘s!
Stellen Sie sich doch einmal vor, Geld und Zeit spielten keine Rolle. Welche Aktivitäten würden Sie in den Quadranten oben rechts packen? Wen ich Ihnen fünf Stunden jede Woche schenken könnte, für welche Idee oder welches Projekt würden Sie sie nutzen? Wenn Sie diese Frage beantworten können, dann haben Sie eine Vision und Ziele. Jetzt geht es darum, Zeit für dieses Projekt zu schaffen.
Der einfachste Weg ist, etwas anderes aufzugeben. Wo könnten Sie Ihr Engagement etwas zurückfahren? Ich würde empfehlen, die Tätigkeiten in den unteren beiden Quadranten etwas zu vernachlässigen. Sicher lässt sich auch einiges delegieren: gönnen Sie sich eine Reinigungskraft, beauftragen Sie einen Steuerberater, lassen Sie sich das Essen liefern, kaufen Sie online. Vielleicht kündigen Sie sogar Ihr Netflix-Abo. Wenn Sie für ein wichtiges berufliches Projekt eine Stunde pro Tag herauskitzeln müssten, wie würden Sie das tun? Genau da sollten Sie ansetzen.
Keine Angst: Dadurch, dass Sie mehr Zeit für das haben, was Ihnen wirklich am Herzen liegt, werden Ihnen auch die weniger spannenden Aufgaben schneller und leichter von der Hand gehen. Und wenn es gar nicht anders geht, dann sind auch kleine Schritte schon ein großer Fortschritt. Schreiben Sie jeden Tag 30 Zeilen an Ihrem ersten Roman, wird sich Ihr Pensum schnell auf eine Seite steigern. Die abendliche Runde um den Block wird bald zu einem ausgedehnten Spaziergang nach dem Abendessen. Der einmalige Gang ins Theater eventuell schon bald zu einer wöchentlichen Leidenschaft.
Das ist echte Work-Life Balance. Finden Sie heraus, was Ihr Leben in der Balance hält und steuern Sie in kleinen oder großen Schritten darauf zu. Ein kleines bisschen unten rechts und unten links tut dann gar nicht mehr weh. Dabei unterstütze ich Sie gerne.